Begegnung

Lindbergh – Ein Interview mit Torben Kuhlmann

aus schmitzkatze 19, Juli 2014 (Fotos Torben Kuhlmann: NordSüd Verlag)

Meine Liebesbeziehung zu »Lindbergh« begann im Oktober 2013 und wurde zunächst arg auf die Probe gestellt. Auf der Frankfurter Buchmesse erzählte der NordSüd-Verleger Herwig Bitsche völlig begeistert von einem Buch, das Anfang diesen Jahres erscheinen sollte. Er zeigte es mir, dazu noch einen hinreißenden Trailer und der Funke sprang sofort über. Nur die Tatsache, nun drei Monate warten zu müssen, um dieses Buch wieder in Händen zu halten und andere dafür zu begeistern, trübte die Freude ein wenig. Mittlerweile ist »Lindbergh« längst erschienen und voll durchgestartet, erhielt hymnische Rezensionen in allen großen Zeitungen und wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass, dem Luchs des Monats Mai und ganz frisch von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher 2014 gekürt. Ein gewaltiges Echo für das Erstlingswerk eines jungen und äußerst sympathischen Künstlers, dem ich auf der Leipziger Buchmesse begegnet bin, und den ich dort für dieses Interview gewinnen konnte. Ganz herzlichen Dank dafür, lieber Torben Kuhlmann!

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Lieber Torben Kuhlmann, »Lindbergh« ist Ihr erstes Bilderbuch. Wir würden Sie gerne näher kennenlernen! Mögen Sie sich einfach kurz selbst vorstellen?

Ich bin Illustrator – manchmal auch Kinderbuchautor – und lebe und arbeite in Hamburg. Geboren wurde ich 1982 im niedersächsischen Sulingen bei Bremen. Ich habe schon als kleines Kind viel gemalt, gezeichnet und gebastelt. Als Teenager fing ich dann mit der Aquarell- und Ölmalerei an. Nach dem Abitur und dem Zivildienst entschied ich mich, meine bisherigen Hobbys zum Beruf zu machen und begann das Illustrations- und Kommunikationsdesignstudium in Hamburg. Neben dem Studium habe ich schon einige freiberufliche Projekte gemacht, bis ich 2010 anfing als Illustrator für die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt zu arbeiten. 2012 machte ich dann mein Diplom mit dem Kinderbuch »Lindbergh«. Dieses Jahr starte ich als freiberuflicher Illustrator.

Können Sie sich noch an Ihr absolutes Lieblingsbuch als Kind erinnern? Und an die erste Begegnung mit einer Maus?

Ich glaube, mein Lieblingsbuch als sehr kleiner Junge war eine Bildergeschichte mit dem Titel »Angst im Dunkeln«. Ich weiß heute nicht mehr den genauen Titel oder den Verlag. Es ging um einen unheimlichen Spaziergang durch einen nächtlichen Wald. Am nächsten Morgen – auf dem Rückweg – sieht man aber, dass alles Unheimliche der Nacht am Tage eine ganz einfache Erklärung hat. Das gruselige Monster war zum Beispiel nur ein Baumstumpf. Meine Ausgabe des Buches ist leider seit Ewigkeiten verschollen.
Meine erste Begegnung mit einer Maus war eine etwas unheimliche und auch traurige – obwohl ich mich nur noch sehr vage daran erinnern kann. Ich befürchte, es war eine tote Maus in einer Mausefalle. Vielleicht hat das ja dazu geführt, dass ich mich mit der Mäusewelt solidarisiert habe und eine Geschichte erzähle, in der diese unheilvolle Erfindung eine kleine Maus zum Fliegen bringt.

Schon als Kind sollen Sie alles vollgekritzelt und -gemalt haben. Erinnern Sie sich noch an Reaktionen zu Ihren allerersten Kunstwerken? Gab es damals Vorbilder? Und wer inspiriert Sie heute?

Ja, das stimmt. Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich immer gezeichnet, gemalt und gebastelt. Das ist auch heute noch alles recht gut dokumentiert, da mein Vater so gut wie alles aufgehoben hat. Ich habe ihn früher häufig auf seinen beruflichen Autofahrten begleitet und dann bei Mandantenterminen still daneben gesessen und alles aufgezeichnet, was ich unterwegs entdeckt habe und was ich interessant fand. Irgendwann lagen dann schon Stifte und Papier für mich bereit. Ich erinnere mich an das Staunen über diese frühen Zeichnungen. Wie ich jetzt – grade in Zusammenhang mit meinem ersten Bilderbuch »Lindbergh« häufig erfahre, haben viele meine Zeichnungen von damals aufgehoben, teilweise länger als 25 Jahre. Begeistert hat mich damals eigentlich alles Gemalte oder Gezeichnete, ohne direkte Vorbilder gehabt zu haben. Ich war als Kind fasziniert wenn jemand etwas realistisch malen könnte. Das wollte ich auch. Und so habe ich immer weiter gemalt und gezeichnet.
Heute inspirieren mich vor allem gut erzählte Geschichten. Ich bin immer wieder erstaunt und in der Folge motiviert, wenn ich sehe, was alles möglich ist. Man kann in Bildern so vieles erzählen, so viel mit Atmosphäre und Stimmungen spielen. Das kann in Illustrationen passieren, aber auch in Malereien und im Kino.
Ich habe unzählige kleine Vorbilder, von amerikanischen Künstlern wie Norman Rockwell und John Singer Sargent bis hin zu einzelnen Kameramännern und Trickfilmregisseuren.

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»Lindbergh« ist so unglaublich liebevoll und detailreich illustriert, da liegt natürlich die Frage nahe, wie lange Sie an Ihrem ersten Bilderbuch gearbeitet haben? Und vor allem, woher diese ungewöhnliche Idee stammt?

Diese Frage ist etwas schwierig zu beantworten. Die erste Idee für dieses Buch entstand schon 2006: Eine Maus, die das fliegen lernt. Aber es blieb erst mal nur bei ein paar unzusammenhängenden Entwürfen. Die Arbeit an »Lindbergh« startete dann im Rahmen meines Diploms im Mai 2011. Es war viel Urlaubs-, Wochenend- und Feierabendarbeit nötig bis im Sommer 2012 ein erster Buchdummy fertig war. Der veränderte sich dann aber nochmals. Der Text wurde kürzer, der Umfang größer. Rechtzeitig zur Kinderbuchmesse in Bologna 2013 war »Lindbergh« dann fast schon in seiner jetzigen Form fertig.
Die grundlegende Idee war so einfach wie schlüssig: Eine einfache Maus entdeckt Fledermäuse – fliegende Verwandte – und möchte daraufhin auch das Fliegen lernen. Nach und nach kamen immer mehr Aspekte hinzu, zum Beispiel die Gefahr der neumodischen Mausefalle. So wurde es eine Fabel über die Auswanderungszeit und die Aussicht auf ein besseres Leben in einem fernen Land wurde der Motivator für den Wunsch, das Fliegen zu lernen.

Haben Sie bei der Arbeit an Lindbergh einzelne Szenen nachgebaut oder sind all diese Details in Ihrem Kopf entstanden? In diesem Zusammenhang: Mögen Sie Trödelmärkte und gibt es dort Dinge, an denen Sie einfach nicht vorbeigehen können?

In der Tat entsteht vieles in meiner Vorstellung oder auch erst beim Zeichnen auf dem leeren Aquarellpapier. Für einzelne Bildinhalte muss ich ein wenig Recherche betreiben, mir zum Beispiel alte Stadtansichten ansehen oder nachschauen, wie bestimmte Objekte aussehen, zum Beispiel alte Schreibmaschinen. In diesem Zusammenhang stöberte ich tatsächlich durch kleine Hamburger Trödelläden. Alles, was eine gewisse Patina hat, war eine große Inspiration für die Welt in »Lindbergh«. An alten Schreibmaschinen kann ich in der Tat nicht einfach vorbeigehen.

War Ihnen von Anfang an klar, dass Ihre Diplomarbeit eine Geschichte für Kinder sein würde? Dass eine kleine Maus darin eine große Rolle spielen würde? Und haben Sie selbst schon mal Mäuschen gespielt und sind über den Atlantik geflogen?

Wie mein Diplomprojekt tatsächlich aussehen würde, war fast bis zuletzt offen. Ich hatte immer wieder während des Studiums den Wunsch, etwas über die Geschichte der Luftfahrt zu machen, zum Beispiel ein Sachbuch oder eine illustrierte Biografie über den einen oder anderen Luftfahrtpionier. Auch reizte mich ein kleines Trickfilmprojekt oder ein Kinderbuch. Wie oben erwähnt, lag zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr 2011 noch eine nicht umgesetzte Idee über eine fliegende Maus in meiner Schublade. Letztlich war mein Gedanke der, dass ich mich immer wieder mal episodenhaft mit Kinderbuchillustration beschäftigt hatte, aber nie ein komplettes Buch dabei entstanden ist. So habe ich mich quasi selbst in die Pflicht genommen und gesagt, wenn ich das jetzt zum Diplom nicht mache, werde ich es vielleicht nie machen. So ging‘s los.
Und ja, in der Tat bin ich ein erfahrener Atlantikflieger. Ich war selbst schon ein paar Mal in den Vereinigten Staaten – geflogen von Hamburg nach New York. Auch wenn der eigentliche Flug heute zugegebener Maßen nicht mehr viel Magisches hat. Mit einer klappernden Propellermaschine wäre das sicherlich etwas abenteuerlicher!

Auf der Kinderbuchmesse in Bologna wurde »Lindbergh« ausgestellt und wartete darauf von Verlegern entdeckt zu werden. Herwig Bitsche erzählte die nette Geschichte, dass Ihr Muster fast zu perfekt war… Wie fanden Sie beide zueinander?

Ich hatte im Herbst 2012 eine kleine Auswahl von Bildern aus »Lindbergh« zur Illustratorenausstellung auf der Kinderbuchmesse Bologna eingeschickt. Das war eine schwierige Zeit damals und ich bin sehr froh, dass mir jemand gesagt hat: Schick‘ auf jeden Fall deine Bilder dorthin! Es hat ja auch geklappt und die Bilder wurden für die Ausstellung ausgewählt. Gleichzeitig stellte der Messestand meiner Hochschule den von mir angefertigten Buchdummy aus. Dieser sprang dann Herwig Bitsche vom NordSüd Verlag ins Auge. Es endete für ihn aber in einer Enttäuschung, da den Buchdummy schon ein Verlagslogo zierte: Flying Books Publishing. Dies war aber nur mein fiktiver Eigenverlag für die kleine Auflage meiner Diplomarbeit. Unverrichteter Dinge zog Herwig Bitsche davon und nur mit etwas Glück entdeckte er auf der Zugfahrt zurück nach Zürich die »Lindbergh«-Bilder im Ausstellungskatalog, dort mit dem richtigen Zusatz »unpublished«. Kurze Zeit später klingelte bei mir das Telefon. In den nachfolgenden Verhandlungen war mir ein Punkt besonders wichtig. Ich wollte den Umfang des Buches auf keinen Fall auf ein »übliches« Maß kürzen. NordSüd war aber ohnehin von Anfang an von meinem Konzept und auch von dem größeren Umfang, den diese Geschichte brauchte, überzeugt!
Besonders freut mich auch, dass die Veröffentlichung von »Lindbergh« der Reise der kleinen Maus folgt, mit der ersten Vorstellungen des Buches in Hamburg und wenig später der Präsentation der englischen Ausgabe in New York City.

Nun sind ein paar Monate vergangen, aus der Diplomarbeit ist ein fertiges Buch geworden, das die Herzen der BuchhändlerInnen höher schlagen lässt und die Presse zu wahren Lobeshymnen veranlasst hat. Wie sieht es mit denen aus, für die Sie das Buch geschrieben und illustriert haben – den Kindern? Gab es bereits Begegnungen mit kleinen Lesern, die sie gerührt, erstaunt, erfreut haben?

Ja, ich bin total überwältigt, wie das Buch angenommen wird. Zur Fragestellung muss ich aber etwas ergänzen. »Lindbergh« startete als sehr kleines Projekt. Für meine Diplomarbeit habe ich zunächst gar keine Zielgruppe im Kopf gehabt. Ich glaube, das einzige Kind, das ich zunächst zufrieden stellen wollte, war ich selber. In einem der ersten Sätze meiner theoretischen Diplomarbeit sage ich, dass ich ein Kinderbuch gestalten wollte, wie ich es als Kind geliebt hätte. Ein wirkliches Abenteuer, in dem es manchmal auch um Leben und Tod geht; das manchmal düster und manchmal lustig ist. Wie ich nun aber schon öfters erfahren habe, gibt es heute auch viele Kinder, die so ähnlich ticken, wie ich als kleiner Junge. Es freut mich enorm, wenn Eltern berichten, wie intensiv Kinder auf die Geschichte reagieren. Durch Kinderaugen und ihre Fantasie wird alles noch etwas intensiver: Sie lachen, gruseln sich vor Eulen und der dunklen Kanalisation und fiebern bei jedem Flugversuch mit. Vielleicht war es ein Pluspunkt, nicht auf eine bestimmte Zielgruppe oder Altersstufe zu zielen und einfach eine Geschichte zu erzählen.
Was mich rührt sind Begegnungen mit kleinen Lesern, die etwas schüchtern ihr »Lindbergh«-Buch ganz fest umklammern und an ihre Brust drücken und etwas scheu – und von den Eltern motiviert – um eine Unterschrift bitten.

Ein gefeiertes Debüt – und nun? Haben Sie schon Pläne für ein neues Projekt, den Kopf dafür frei? Möchten Sie weiterhin für Kinder zeichnen? Könnte die Geschichte von Lindbergh weitergehen? Fragen über Fragen, auf die Sie hoffentlich Antworten haben!

In der Tat »beflügelt« mich die viele positive Rückmeldung zu meinem Erstling »Lindbergh«. Und ich habe noch einige Ideen für Bilderbuchgeschichten. Weitere Bücher kann ich nun etwas beruhigter anfangen. »Lindbergh« war vor allem für mich als Autor und Illustrator ein großer Selbstversuch: Das erste Mal, dass ich eine ganze Geschichte in Bildern erzählt habe. Für mich schienen viele meiner Gestaltungsideen schlüssig, aber man sieht ja erst, ob etwas wirklich funktioniert, wenn andere die Geschichte lesen, betrachten und erleben. Nun bin ich da etwas sicherer und in der Tat sind schon weitere Bücher in Planung. Und um hier den letzten Satz aus meiner theoretischen Diplomarbeit zu zitieren: »Vielleicht ist es nicht das letzte Mal, dass eine Maus in einem winzigen Cockpit Platz genommen hat…«

Wenn die Ideen mal nicht so kommen wollen, wie sie vielleicht sollten, wo und wie bringen Sie sich auf andere Gedanken und lassen sich beflügeln?

Ja, manchmal ist der Blick auf ein leeres Blatt Papier geradezu angsteinflößend. Aber über die Jahre habe ich recht sichere Methoden entwickelt, um meine Gedanken aufzuräumen und darin dann gute Ideen aufzuspüren. Bewegung an der frischen Luft ist immer gut. Manchmal reicht schon eine kleine Fahrradtour an der Elbe, idealer Weise gönne ich mir aber einen Tag am Meer. Tatsächlich ist viel Konzeptions- und Schreibarbeit zu »Lindbergh« bei Tagesausflügen an die Nordsee erledigt worden. Manchmal braucht es aber auch nur einen guten Spielfilm, einen Museumsbesuch oder Musik, um Inspiration zu finden.

Schauen Sie sich heute ab und zu Bilderbücher an? Sieht man sie dann mit den Augen eines Künstlers, der gleichzeitig überlegt, wie er die Geschichte umgesetzt hätte? Oder mit den Augen eines Kindes?

Ich kann tatsächlich noch relativ unmittelbar andere Bilderbücher durchschauen, ohne es nur vom fachlichen Standpunkt zu sehen oder gar zu bewerten. Ich glaube auch, dass sich so viel gar nicht geändert hat. Auch schon früher habe ich Bilderbücher immer etwas analysiert. Wie hat der Illustrator das gemacht? Was für technische Kniffe wendet er an? Und so schaue ich auch heute noch. Im Idealfall zieht einen aber eine fantastische Bildwelt und eine gute Geschichte nach ein paar Seiten soweit hinein, dass man gar nicht mehr an der Oberfläche herumanalysiert. Ich »entdecke« auch gerne Bilderbücher, die mich in irgendeiner Weise überraschen.

Hat Sie ein Buch schon mal so sehr beeindruckt, dass Sie es am liebsten sofort in Szene gesetzt hätten? Oder gibt es eines, in dem Sie gerne der Held wären?

Zuletzt erging es mir so bei »Coraline« von Neil Gaiman. Da sprudelten die oft surrealen Umsetzungsideen geradezu aus mir heraus. Als Teenager hatte ich ein ähnliche Erfahrung mit Bram Stokers Roman »Dracula«.
Ich wäre in so vielen Geschichten gerne der Held… Aber das Schöne an Büchern ist ja, dass man es als Leser auch irgendwie immer ist.

Würde man Ihnen eine Reise schenken, was wäre Ihr Ziel, wie kämen Sie dorthin und was würden Sie von dort mitbringen?

Das kann ich kaum auf einen einzigen Ort beschränken. Ich möchte gerne mehr von der ganzen Welt sehen. Großartig wäre es, wenn mich meine Bücher irgendwann auch mal nach Japan führen würden. Mitbringen würde ich dann ein volles Reise-Skizzenbuch.

Der Traum vom Fliegen und von der Freiheit ist für Lindbergh in dem Buch wahr geworden. Was ist Ihr großer Traum? Wurde er sogar schon wahr?

Sicherlich ist ein großer Traum jüngst schon wahr geworden: Mein erstes Buch ist erfolgreich verlegt worden! Und es ist dabei mein Buch geblieben – von der Gestaltung bis zur Geschichte. Ein weiterer Traum, der wahr wurde: Vor wenigen Wochen ist »Lindbergh« auch in den USA erschienen!
Absolut umwerfend wäre es für mich, irgendwann vielleicht den Titel »Lindbergh« auf der großen Kinoleinwand zu lesen, begleitet von heroischen Trompetenklängen.

Sandra Rudel

Torben Kuhlmann
Lindbergh. Die abenteuerliche
Geschichte einer fliegenden Maus
NordSüd Verlag, 17,95 Euro
Ab 6 Jahren.

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