Begegnung

Jon Klassen – Ein Interview

aus KILIFÜ 2014/15

Wir hatten die Gelegenheit Jon Klassen während des 14. internationalen literaturfestivals in Berlin  zu sprechen. In der knappen halben Stunde, die zur Verfügung stand, begegnete uns ein äußerst entspannter und gut gelaunter Interviewpartner, der alle Fragen entwaffnend offen beantwortete. Beim anschließenden Vortrag im Haus der Berliner Festspiele haben wir dann noch erfahren, dass er eigentlich gar keine Lust hat, Tiere zu zeichnen – dafür gibt es aber erstaunlich viele von ihnen in seinen Büchern.

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Die erste Frage, die ich Dir einfach stellen muss: wie viele Hüte besitzt Du?
(lacht) Oh, gar nicht so viele. Ich habe einige von diesen Baseballcaps, aber mein Kopf ist recht schmal und die meisten Hüte sehen bei mir immer so aus als wären sie zu groß. Ich mag Hüte – es ist seltsam, denn ich habe bis zur Grundschule immer einen getragen. Aber  ich weiß, worauf Du hinauswillst, es gibt aber keinen Zusammenhang mit den beiden Büchern, in denen ein Hut die Hauptrolle spielt. Ab und an, wenn mir einer gefällt, probiere ich einen neuen Hut auf, aber sie sind leider immer zu groß und stehen mir nicht.

Wenn wir schon beim Thema sind – bitte versteh mich jetzt nicht falsch – was war der Grund eine Geschichte zweimal zu erzählen? »Wo ist mein Hut?« und »Das ist nicht mein Hut« gleichen sich ja, – war es die andere Erzählperspektive, die Dich gereizt hat?
Das war nicht geplant, selbst der erste Band war ein »Unfall«. Ich hatte nur die Dialoge für »Wo ist mein Hut?« geschrieben und eine vage Idee für das Cover im Kopf, ohne einen Hut zu zeigen, hatte aber gar nicht die Motivation ein Kinderbuch zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur Geschichten von anderen illustriert und als ich mich nach mehreren Versuchen daran setzte, das Storyboard zu entwickeln, war die eigentliche Geschichte innerhalb von 20 Minuten entwickelt. Eigentlich funktioniert die Story wie ein kurzes Theaterstück, in dem der „Zuschauer” anhand dessen, was gesprochen wird und dem was er zu sehen bekommt, merkt, dass da jemand lügt. Wir haben das Buch schnell realisiert, gleich gut verkauft und der Verleger meinte, dass ich zügig ein weiteres Buch machen sollte. Das Problem war, ich hatte keine gute neue Idee, probierte erst mit den gleichen Charakteren eine weitere Geschichte zu erzählen, aber es funktionierte nicht. Dann fiel mir eine Fischgang ein, die im Meer herumzieht und andere Fische terrorisiert, bis sie sich mit einem zu großen Gegner anlegt und ein Gangmitglied nach dem anderen gefressen wird, bis nur noch der Bandenchef übrig ist. Ich kam zu diesem letzten Bild und dachte, diese Situation ist interessant: ein kleiner Fisch, ein großer Fisch, und — ein Hut. Ich schrieb alles schnell herunter und habe meinem Verleger um 2 Uhr morgens eine E-Mail mit dem Exposé gesendet. Ich wachte morgens auf, schaute auf das Manuskript und dachte »Du hast das gleiche Buch geschrieben! Wie konnte das passieren?« Beim folgenden Telefongespräch beruhigte mich mein Verleger, es wäre alles in Ordnung, die Geschichte würde funktionieren, sie unterscheidet sich von »Wo ist mein Hut?«, es ist ein anderes Buch. Denn ist in diesem Fall ein Monolog, kein Dialog, den der Hauptcharakter führt, dadurch ändert sich die Perspektive, die Abfolge in der Handlung – man entwickelt Sympathien für eine andere Person. Ein sehr glücklicher »Unfall«, ich wünschte das wäre geplant gewesen. (lacht)

Also sind es die »Unfälle« die das Leben interessant machen?
Ja, dass mag ich am liebsten an der Arbeit.

Es scheint mir, dass Du sehr von dem Grafikdesign der späten 1950er- und frühen 60er-Jahre inspiriert und beinflusst bist – die gebrochen Farben, der Einsatz von Texturen erinnern mich an vieles, was in dieser Zeit in den USA entstanden ist.
Ja, das denke ich auch, sie hatten damals nicht die Möglichkeiten in der Druckproduktion und diese Limitierung brachte Sie dazu, ökonomisch und gut geplant Dinge zu realisieren. Es spricht nichts dagegen, dass man heutzutage alles drucken kann, was man möchte, aber ich mag es für mich in festen Regeln und durchaus eingeschränkt zu arbeiten. Und in Sachen Kinderbücher sind mir die am liebsten, die mit großen, klaren Formen arbeiten. Das fängt mit dem Cover an, wenn ich das Motiv und den Titel schon von weitem erkennen kann, gefallen sie mir am besten. Wenn ich als Kind ein Buch geöffnet habe und auf der Seite waren mehr als drei, vier Zeilen Text, habe ich es sofort wieder beiseite gelegt. Die alten Bücher haben mit sehr sparsamen Mitteln erzählt und das reizt mich sehr. Ich möchte keine »Retro«-Bücher machen, nichts kopieren, nichts bewusst auf alt trimmen. Meine Bücher waren die Kinderbücher, die mein Vater bekommen hatte, als er ein Junge war und sie haben mich wohl sehr geprägt. Aber man sollte nicht zu romantisch werden was diese Zeit angeht, sondern das nehmen, was sie damals gut gemacht haben und in die Gegenwart transferieren.

Ich war sehr erstaunt als ich herausfand, dass Du nicht aus dem Fernen Osten stammst. Deine Bücher sind so fokussiert, es gibt so viel Raum, den ich aus einigen japanischen und chinesischen Veröffentlichungen kenne.
Ja, die sind sehr gut darin und die Bücher scheinen in Japan auch prima anzukommen. Ich habe längere Zeit in einem großen Zeichentrickstudio gearbeitet und das was man dort den ganzen Tag macht ist das komplette Blatt mit Illustrationen zu füllen. Jede Zeichnung ist ja nur ein Standbild eines Filmes und somit muß man die ganze Zeit auch das komplette Umfeld mitberücksichtigen. Bei meinem ersten Kinderbuchjob habe ich genau so gearbeitet, ich habe jede Seite mit Zeichnungen bis zum Anschlag gefüllt. Dann stellte ich fest wie entspannend es ist, dem Papier Raum zu lassen, der Oberflächentextur, dem Material. So viel Papier wie möglich stehen zu lassen ist wirklich eine schöne Sache.

Das Erste was ich mit neuen Büchern mache ist, sie zu öffnen und daran zu riechen.
Ja, es ist ein Objekt, eine physikalische Erfahrung, es macht so viel Spaß in diesem Genre Dinge realisieren zu können. Wenn man diesen Buchrücken anschaut (nimmt ein Buch in die Hand), es ist so wenig Fläche, aber wie gestalte ich sie. Denn wenn man im Buchladen steht, was bringt einen dazu ausgerechnet dieses Buch aus dem Regal zu ziehen, das zwischen hunderten anderen Büchern Rücken an Rücken steht?

Wie läuft der Entscheidungsprozess, wenn Du das Angebot bekommst, einen Fremdtext zu illustrieren?
Manchmal ist es einfach wegen des Geldes. (lacht) Nein, im Ernst, ich habe keinen Plan, also keine Liste an Büchern und Themen, die ich gerne einmal zeichnerisch umsetzen möchte. Wenn mir eine Geschichte angeboten wird, beschäftige ich mich mit ihr, und wenn sie mich berührt, wenn man sie packen und mit ihr losrennen kann, dann macht das sehr viel Spaß und ist immer ein großes Abenteuer. Und kann genauso persönlich werden, wie die Geschichten, die man sich selber ausdenkt.

Ich habe gelesen, dass Du ein großer Bewunderer von Wolf Erlbruch bist. Kannst Du mir sagen, was Du an seinen Büchern magst?
Ich habe das Buch »Ente, Tod und Tulpe« geschenkt bekommen und war ganz hingerissen von der Sanftheit und Eleganz mit der Erlbruch gestaltet. Die meisten Kinderbuchpublikationen in den Vereinigten Staaten sind sehr laut, bunt, energiegeladen und seine Bücher sind so komplett anders – ruhig, behutsam, zart, ohne langweilig zu sein. Und alles ist sehr gut layoutet, die wenigsten Illustratoren sind auch gute Grafiker.

Bei diesem Buch kommen mir jedes Mal die Tränen, wenn ich es lese.
Ja, mir auch, wenn die Ente stirbt, fange ich an zu weinen, es ist ein wunderschönes Buch. In den USA hat es leider kaum Öffentlichkeit bekommen, wegen des Skeletts. Ich habe schon einmal darüber nachgedacht, ob die Akzeptanz in Amerika höher gewesen wäre, wenn der Tod als Mann dargestellt worden wäre. Ich bin ein großer Fan.

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Ich habe Dein neues Buch »Sam & Dave graben ein Loch« lesen dürfen und die beiden Protagonisten treffen eine Fehlentscheidung nach der anderen, doch am Ende der Geschichte ist scheinbar wieder alles in Ordnung. Interessant ist auch, dass die Leser des Buches immer mehr wissen als die Hauptdarsteller.
Ja, ich finde es immer wichtig, wenn die Illustrationen mehr oder etwas anderes erzählen als der Text eines Buches. Am Ende sind die beiden vermeintlich wieder am Ausgangspunkt der Reise, aber wer genau hinsieht…
Ich hatte viel Spaß am Layout, der Text sollte den Kindern auf ihrem Weg nach unten folgen, das hat nicht so funktioniert wie gehofft und er springt ein wenig, aber ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Sind irgendwelche neuen Bücher geplant?
Ja, das dritte »Hut«-Buch, noch eines und dann ist die Sache mit dem Hut gestorben.

Und welche Tiere sind es dieses Mal?
Ich bin mir nicht sicher. Es gibt im ersten Buch ein Tier, das aussieht wie eine Mischung aus einem Maulwurf und Gürteltier, und es werden wohl Kreaturen werden, für die es keinen Namen gibt. Es gibt ja auch Leute, die den Bären für einen Biber halten und somit bin ich eh ein hoffnungsloser Fall was das Zeichnen von Tieren angeht. (lacht) Die Geschichte  wird aber wohl im Schnee spielen.

Dirk Uhlenbrock

P.S. Es gibt einen sehr schönen Kurzfilm „An Eye for Annai“, der noch während seiner Studienzeit in Zusammenarbeit mit einem Studienkollegen entstanden ist, den ich hiermit wärmstens empfehle. Auch über diesen Film haben wir kurz geredet, da mir aufgefallen war, daß der Seestern, der Annai beim Verlassen des Meeres am Rücken klebt und auf den er sich dann zu setzen scheint, beim Aufstehen verschwunden ist. Er antwortete, das der Film in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fertig werden mußte und das sie aus Versehen einen noch schlimmeren Anschlußfehler eingebaut haben, der vor allem Kindern auffällt. – Achten Sie mal auf die letzte Szene, was da wohl nicht stimmt 😉